Von indigenen Völkern lernen
Die Nahrungsmittelerzeugung ist unabdinglich für unser modernes Überleben. Sie gehört zu den wichtigsten Pfeilern der Weltwirtschaft und verantwortet gleichzeitig große Schäden an der Natur: Raubbau, Zerstörung der Artenvielfalt, Chemie-Einsatz und Emissionen. Doch welche alternativen Möglichkeiten gibt es, um von sogenannten Agrarwüsten wegzukommen und Lebensmittel nachhaltiger anzubauen? Hier lohnt ein Blick auf die Praktiken, mit denen die indigene Bevölkerung seit jeher ihren Fortbestand sichert.
In jungen Jahren, in einer Zeit, in der ich als Rucksackreisende und später als Aussteigerin in Südamerika lebte, begeisterte ich mich besonders für die fruchtbaren Gegenden in tropischen Regenwäldern rund um den Äquator. Dort begegnete ich in der Provinz Morona Santiago in Ecuador einer Ethnie names Shuar. Diese Menschen leben noch sehr verbunden mit Mutter Natur, die ihnen alles Wesentliche schenkt, was sie zum Leben brauchen. Damals lernte ich von ihnen in Ecuador, wie man ein Haus aus Naturmaterialien baut und auch, wie die Shuar traditionell die Ernährung ihrer Familien gewährleisten: Teils gehen sie jagen, teils sammeln sie wilde Früchte, Wurzeln und Blätter, und teils betreiben sie eine Art von Landwirtschaft, die sich unauffällig in den Dschungel integriert. Vereinzelt finden sich Bananenstauden, hier und dort eine Ananas, dazwischen einige Manjok-Pflanzen und große tropische Obstbäume, an denen sich Passionsfrüchte und andere Kletterpflanzen emporranken. Daneben liefert der Waldgarten Heilkräuter, Holz und mehr.
Der Waldgarten in der Permakultur
Erst Jahre später studierte ich die Permakultur und erfuhr vom Konzept des essbaren Waldgartens, das Bill Mollison beschrieben hat. Dieser ertragreiche Garten folgt einem ähnlichen Schema, wie wir es im tropischen Regenwald finden: Im Dschungel gibt es mindestens sieben verschiedene „Etagen“, auf denen etwas wächst. Die australischen Aborigines und auch die Shuar in Südamerika ahmten das natürliche System nach und bauten ihre Nahrungspflanzen in den Urwald ein. Die Pflanzengesellschaften im Etagen-Aufbau des tropischen Regenwaldes stehen miteinander in Synergie. Von Wurzeln und Knollen über Mulch- und Krautschicht, Sträucher, Kletterpflanzen sowie kleineren und großen Gehölzen ist alles ineinander verschachtelt, so ähnlich wie im Tetris-Spiel. Tatsächlich können wir heute wissenschaftlich nachweisen, dass sich bestimmte Pflanzen gegenseitig Schädlinge und Krankheiten vom Leib halten und einander begünstigen. Jeder Raum wird je nach Nährstoffen und Lichtverhältnissen von der Natur bestmöglich genutzt, sowohl in der vertikalen als auch horizontalen Ausrichtung. Insbesondere Pflanzen, die Stickstoff binden, kommen dem Gesamtsystem zugute.
Funktionsweise des Waldgartens
Als die australischen Aborigines begannen, den Urwald zu nutzen, um Nahrung zu kultivieren, rodeten sie ihn nicht – was sich im Regenwald auch fatal ausgewirkt hätte, da die Böden dort besonders empfindlich sind, schnell erodieren und sämtliche Nährstoffe ausgewaschen werden, sobald sie brachliegen. Stattdessen entnahmen die Ureinwohner dem Wald nur wenige Gehölze und integrierten Nutzpflanzen. Außerdem pflegten sie wilde Heil- und Nahrungspflanzen, die bereits vorhanden waren. Auf diese Weise entstand eine Landnutzung, die auf Beständigkeit und Respekt für das sensible Ökosystem ausgerichtet ist. All das beobachtete der Permakultur-Pionier Bill Mollison. Das Prinzip essbarer Waldgarten lässt sich auf viele Naturräume weltweit anwenden. Im Gegensatz zu Monokulturen, die unter der Sonne brutzeln und dem Wind ausgesetzt sind, können Waldgartensysteme beständiger und auch ertragreicher sein, benötigen keinen künstlichen Dünger oder industrielle Pestizide.
Ein intakter Erdboden bindet übrigens eine Menge Kohlenstoffdioxid, das beim Umgraben in die Atmosphäre abgegeben wird. Zudem werden wertvolle Bodenlebewesen zerstört. Daher wird in der Permakultur, auch im Waldgarten, wo immer möglich, ohne Umgraben gearbeitet. Der Boden kann mit Matten, Kartons, alten Teppichen oder Folie abgedeckt werden, bis die unterliegende Vegetation, wie Gräser oder Kräuter, eingehen. Dann wird darauf neu gesät. Die Erde lässt sich bei Bedarf sanft mit einer Grabegabel lockern. Alle Pflanzen werden mit einer Mulchschicht versehen, die die natürliche Laub- und Humusschicht des Waldes nachahmt. Sie schützt Boden und Pflanzen vor dem Austrocknen und hindert Sämlinge am Wachstum. Dies bedeutet: Weniger ackern, gießen und Unkraut jäten für Permakulturgärtner.
Selbst einen Waldgarten anlegen
Beim Waldgarten geht es also, darum, einen Naturraum auf vertikaler und horizontaler Ebene bestmöglich auszunutzen, nach dem Vorbild des tropischen Regenwalds und seines Etagenaufbaus. Das Prinzip Waldgarten mit seinen sieben Etagen lässt sich aber auch in unseren Breitengraden und auch auf kleinere Grundstücke anwenden. Dabei ist die sinnvolle Planung entscheidend, um passende Pflanzennachbarn zu wählen, die sich auch langfristig vertragen und begünstigen. Zudem will die Entwicklung der Bäume und Sträucher einkalkuliert werden: Denn mit den Jahren passiert Entwicklung, die sogenannte Sukzession, sodass sich die Dimensionen und Proportionen im Waldgarten verändern. Manche Pflanzen wachsen schneller und größer als andere. Licht-, Nährstoff- und Platzbedarf wollen also berücksichtigt werden. Auf diese Weise kann sich jeder eine essbare Landschaft schaffen, die neben Nahrung auch einen Erholungs- und Lebensraum für Mensch, Fauna und Flora bietet.
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Arvay/ Moog: In Zukunft selbstversorgt. Wegweiser in ein autarkes Leben. Mit einem Gastbeitrag von Christine und Wolf-Dieter Storl. Bastei Lübbe 2923.


Kulturwissenschaftlerin (M.A.), Permakultur-Designerin (PD) und Umweltjournalistin, Wildkräuterguide, Lehrerin für Yoga & Meditation